Rorschach trauert um seinen Ehrenbürger Louis Specker

Der Nachruf wurde von Peter Müller verfasst, der ebenfalls als Historiker tätig ist und an den Heften des Kulturhistorischen Vereins Rorschach mitwirkt.

Rorschach, die Ostschweiz und die Welt

Zum Tod von Louis Specker (1939-2022), Historiker und Museumsleiter

Ein freundlicher, bescheidener Mann mit wirrer Frisur und wachen Augen, gesprächsfreudig, hilfsbereit. Und eine Institution: Für viele historische Themen war er eine einzigartige Anlaufstelle. Er verfügte über eine grosse Privatbibliothek und ein immenses Wissen, in dem er selten verlorenging. Louis Specker hielt den Kontakt zum Thema, zum Gegenüber, zur Gegenwart. Dazu kam eine klare Haltung, eine sozialdemokratische, aufklärerisch-kritische. In den letzten Jahren ist es etwas still um ihn geworden. Jetzt, bei seinem Tod, realisiert man so richtig, was dieser Mann als Historiker alles geleistet hat. Es ist immens.

Specker wurde in Rorschach geboren und verbrachte dort die meiste Zeit seines Lebens. Der Vater war Lokführer und widmete sich zeitlebens dem Kampf der Arbeiterschaft, was den Sohn offensichtlich prägte. Er wurde zunächst Primarlehrer und studierte dann in Basel Geschichte, Philosophie und Germanistik. Seine Dissertation beschäftigte sich mit dem Appenzeller „Weberpfarrer“ und SP-Politiker Howard Eugster-Züst. Nach dem Studium war er unter anderem als Lehrer am Lehrerseminar Rorschach tätig. 1974 übernahm er die Leitung des Heimatmuseums Rorschach, später auch der Stadtbibliothek, und begann, lokal- und regionalhistorisch zu arbeiten. Ein Spielfeld, dem er bis zuletzt treu blieb. Privat kamen die Heirat und die Gründung einer Familie.

1980 wechselte Specker ins Historische und Völkerkundemuseum St.Gallen und wurde dort Leiter der historischen Abteilung, die er – die Formulierung drängt sich auf – neu erfand. Er öffnete das Museum für die Geschichte des Alltags und für sozialgeschichtliche Fragen. Er baute die Kulturvermittlung, die Museumspädagogik, massiv aus und machte sich stark für die Kooperation der Museen rund um den Bodensee. Zu den Highlights gehörten u.a. die Ausstellungen über die Hungersnot 1816/17 in der Ostschweiz, über den Tourismus am Bodensee und über die Ostschweizer Schulgeschichte. 1993 räumte er zudem den altväterlichen Waffensaal im 1.Stock und ersetzte ihn durch die erste Gesamtschau der St.Galler Textilgeschichte – eine Schau, die auch die dunklen Seiten der Stickereiblüte thematisierte. Daneben publizierte er weiter Bücher und Aufsätze.

Seine Pensionierung 2002 brachte ihm einen willkommenen Freiraum, den er weiterhin für ein vielfältiges Engagement nutzt. Noch im selben Jahr erhielt er für seine lokalhistorische Arbeit das Rorschacher Ehrenbürgerrecht. Ein weiterer Höhepunkt war 2010 die Veröffentlichung von „Links aufmarschieren“, der ersten ausführlichen, systematischen Darstellung der ostschweizerischen Arbeiterbewegung von den Anfängen der Industrialisierung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Dazu kamen kleinere Arbeiten, z.B. ein scharfsinniger Aufsatz über die Biedermeierzeit in der Ostschweiz (2008). Alles Texte, die man gern und mit Gewinn liest. Specker war nicht nur ein kluger und differenzierter Historiker, sondern auch ein guter Stilist, Erzähler und Referent. Manche seiner Veröffentlichungen dürften lange Bestand haben, neben dem erwähnten „Links aufmarschieren“ z.B. sein Buch über Rorschach im 19. Jahrhundert (1999).

Bei alledem musste sich Specker auch immer mit Widrigkeiten herumschlagen, vom mangelnden Verständnis der Behörden bis zur Auslastung durch den Brotberuf, von knappen Budgets bis zu den Zumutungen des Zeitgeistes. Er behielt die Haltung, verfolgte seine Arbeit mit Stehvermögen und Disziplin. Als Historiker war er solid und gründlich, neugierig und vielseitig, verlor sich nicht in Rechthabereien oder im Spiel mit Diskursen. Haltung zeigte er aber auch anderweitig, 1985 z.B., bei der Einweihung der Wartegg-Ausstellung im Heimatmuseum Rorschach. Ehrengast war die 93jährige Zita, Ex-Kaiserin von Österreich. In der Kutsche, mit der sie vorgefahren wurde, war auch für Specker ein Platz vorgesehen. Er lehnte dankend ab.

Was auch zu Louis Specker gehörte, war eine gewisse Distanz zur Gegenwart, zu Umtriebigkeit und Lärm etwa, vor allem aber zum naiven oder egoistischen Fortschrittsglauben. Diese zeitkritischen Töne, so hatte man den Eindruck, verstärkten sich in den letzten Jahren. Seine Kommentare zum Gang der Dinge – ob in Rorschach oder der Schweiz, in Europa oder der Welt – konnten hart und pessimistisch sein. Er wollte sie im Gespräch nicht ausklammern. Louis Specker war ein interessanter, bereichernder Gesprächspartner, ein guter Zuhörer – und er konnte wunderbar lachen. Er starb am 23. Oktober nach einer halbjährigen, schweren Krankheit.

Die Trauerfeier für Louis Specker findet kommenden Freitag, 4. November 2022, 11 Uhr, in der Evangelischen Kirche in Rorschach statt.

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