Von Goldach nach São Tomé und Príncipe

Hesch gwüsst, nur 1 % der Weltbevölkerung läuft je einen Marathon. Das entspricht aktuell etwas mehr als 82 Millionen Menschen. Mit einer davon habe ich über den bevorstehenden Marathon sowie ihren letzten 200 km Lauf gesprochen. Simone Honegger, ist ursprüngliche Goldacherin, im besten Alter und fit wie ein Turnschuh.

Simone hat in São Tomé und Príncipe am «Hemisphere Crossing» Lauf mitgemacht. In 6 Etappen gilt es 200 Kilometer sowie 6’000 Höhenmeter zu bewältigen. Übernachtet wird im Zelt. Gesprungen wird am Strand, durch den Dschungel, kreuz und quer über die Insel, inmitten von Kakaoplantagen, vorbei an giftigen Kobras und Spinnen. Ein einmaliges Erlebnis.

São Tomé und Príncipe sind zwei kleine Inseln im Golf von Guinea. Die Ziellinie ist der Übertritt auf die andere Erdhalbkugel – der Äquator. São Tomé ist das Land, das am nächsten an den Koordinaten 0°N 0°E liegt. Dort wo der Äquator den Nullmeridian kreuzt. Es herrscht ein tropisches Klima, meistens zwischen 25° bis 30 °C. Über Nacht bleibt die Temperatur um die 20° C. Es fällt dort viel Regen, darum ist die Luftfeuchtigkeit sehr hoch.

Hauptsache trockene Schuhe

Etwas vom Wichtigsten dabei ist, dass die Schuhe trocken bleiben. Denn sonst entstehen schnell Blasen an den Füssen. Und wer schon einmal Blasen an den Füssen hatte, weiss, wie schmerzhaft das ist. Vor allem, wenn man inmitten eines 200 km Laufes ist und sich keinen Tag Pause zur Regeneration gönnen kann.

Erholung gibt es während dem Lauf genügend. Simone Honegger hat mir das erklärt; um 4 Uhr ist Tagwacht, nach ausreichend Frühstück starten die Läufer um 6 Uhr auf ihre Etappe. Je nachdem wie lange die Tagesetappe dauert, sind sie spätestens am Mittag im nächsten Camp, welches von den Volunteers jeweils vorbereitet wird. Dann können sie essen und sich ausruhen. Dusche gibt es keine. Um etwa 18 Uhr gehen alle in ihre Zelte und eine halbe Stunde später hört man keinen Mucks mehr im Lager. Ausserdem ist es dann eh schon dunkel. Am Äquator sind alle Tage gleich lang.

Zurück zu den trockenen Schuhen. Natürlich müssen die Läuferinnen auch Bäche und Flussläufe durchqueren, um auf der Laufstrecke zu bleiben. Dann gibt es die Möglichkeit, über grosse Steine zu hüpfen, damit man ans andere Ufer gelangt. Oder aber man lässt sich – wie Simone Honegger – von einem netten Helfer mit Gummistiefeln einfach hinübergetragen.

Ghackets mit Hörnli und Biberli

Das Essen bringt jeder Teilnehmer selbst mit. Wasser wird vor Ort zur Verfügung gestellt. Pro Tag müssen die Teilnehmenden mindestens 2000 Kalorien zu sich nehmen. Das wird vom Arzt beim sogenannten «Material-Check» vor dem Start überprüft. «Astronautenfood ist da sehr praktisch» sagt Simone. Was das ist? Fertigessen, welches nur ein wenig heisses Wasser und ein paar Minuten Zeit benötigt. Danach kann man Ghackets mit Hörnli geniessen. Oder auch asiatische Nudeln, Simones Lieblingsessen. Ausserdem hat sie viele Nüsse, Datteln und auch Biberli gegessen.

Neben der abwechslungsreichen und schönen Laufstrecke sind es vor allem die Einheimischen Leute, die Simone emotional werden lassen. So viel Armut zu sehen, dass gehe nicht spurlos an einem vorbei. Familien, welche nichts haben. Wirklich gar nichts. Die Häuser, die sie bewohnen, sind Blechhütten mit maximal 10 Quadratmeter. Eine Gruppe von Läufern, welche am Dorf vorbeispringen, ist dort ein Grund zum Jubeln. So springen die Kinder, vielfach in Flipflops, den Läufern nach, um mit Gesten etwas zu Essen zu erbitten.

An jedem Lauf machen zwei Einheimische mit. Dieses Mal war ein 18-jähriges Mädchen dabei. Ihr ging es unterwegs nicht so gut. Da das Mädchen viel unter Übelkeit und Bauchschmerzen litt, wurde sie vom anwesenden Arzt untersucht. Er stellte fest, dass sie schwanger war. Das sei ein sehr freudiger und emotionaler Moment gewesen, sagt Simone. Das Mädchen hat sich sehr gefreut und konnte es kaum erwarten, ihrem Mann davon zu berichten. Den Lauf hat sie nicht beendet.

Persönliche Grenze erreicht – und einfach überschritten

Der Laufsport begleitet Simone schon sehr lange. Als sie mit ihrem Mann 2019 in Kambodscha Ferien machte, dachte sie, dass sie dort auch einmal ein Rennen laufen könnte. Wieder zu Hause suchte Simone online danach und fand schliesslich, was sie suchte. Vor zwei Jahren machte Simone Honegger das erste Mal den 220 km Lauf in Kambodscha (The Ancient Khmer Path). Damals ging es ihr vor allem darum, die persönlichen Grenzen zu erreichen.

Die hat Simone auch erreicht. Und zwar auf der vierten Etappe (44km) machte sie Halt an einem Checkpoint. Bis zum Tagesziel waren es noch 20 Kilometer. Simone konnte nicht mehr. Sie hatte heiss und war total überhitzt. Der Arzt sagte ihr, sie solle eine Pause machen und 40 Minuten warten. Simone machte eine Pause. Und nahm ein Fussbad im Fluss, um die Körpertemperatur zu senken. In dieser Zeit rasten ihre Gedanken. «Was tue ich mir hier an? Ich könnte einfach aufhören!» In der Überzeugung, den Lauf abzubrechen, beendete Simone die Pause. Der Arzt ignorierte ihren Einwand. Er sagte ihr: «Komm schon, Simone. 20 Kilometer gehen immer!» Und Simone lief an diesem Tag noch zwanzig Kilometer. Und sie schaffte auch die gesamte Strecke von 220.

«Ich weiss, dass ich es kann.»

Seither hat Simone Honegger diese Grenze nicht mehr erreicht. Sie sagt; «Ich weiss ja, dass ich es kann. Ich habe es bereits geschafft, also mache ich es einfach nochmal.» Das klingt für mich so banal, so einfach und so logisch. Aber gleichzeitig auch unfassbar und unvorstellbar, weil ich nicht zu diesem 1% der marathonlaufenden Weltbevölkerung gehöre.

Simone meint dazu, dass ihr manchmal gar nicht bewusst ist, was sie da geleistet hat. Während so einem Lauf sei man wie in einer eigenen Welt. Alle anderen dort machen das ja auch und es sei darum überhaupt nichts Spezielles dabei. Erst wenn sie wieder zurück ist, davon erzählt und die Leute ihr zu ihrer Leistung gratulieren, dann wird es Simone bewusst. Und dann kommt auch der Stolz und die Freude darüber hoch.

Als nächstes nimmt Simone Ende September am Berliner Marathon teil. Den Strassenmarathon empfindet Simone als deutlich grössere Herausforderung, weil die 42,195 km allesamt auf asphaltierten Strassen gerannt und dabei immer im hohen Pulsbereich gelaufen wird. Bei Etappenläufen mit Höhenmetern kann auch mal «gewandert» werden.

Sobald Simone einen Lauf oder Marathon absolviert hat, meldet sie sich am liebsten gleich für den nächsten an. Weil sie es kann. Ganz einfach.

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